Mein Weg zum Kamishibai

“Wär das nicht auch was für euch?”, fragte mich meine Freundin Bianca. Sie hatte mir minutenlang davon erzählt, dass in der Kita-Gruppe ihres Sohnes seit ein paar Wochen ein Holzrahmen steht, in das die Erzieherinnen immer mal wieder Bildkarten reinschieben, um damit dann Bilderbücher vorzulesen. “Kamishibai heißt das”, sagte sie. “Nie gehört”, meine Antwort. Tatsächlich sind meine eigenen Kinder schon einige Jahre aus dem Kita-Alter herausgewachsen, und damals, als sie kleiner waren, kursierte dieses Wort “Kamishibai” noch nicht wirklich in den Einrichtungen herum. Heute ist das in vielen Einrichtungen anders – aber für mich klang das vor einem guten Jahr alles noch sehr neu.

“Illustrationen vorn drauf, Text hinten – fertig!” – das hat mit Kamishibai wenig zu tun.

Grundsätzlich fand ich die Idee, unsere Bücher aus dem himmelbau so aufzubereiten, dass alle Kinder gleichzeitig die Illustrationen von Anni sehen können, es kein Geknubbel und Gedränge beim Vorlesen gibt, ganz wunderbar und verheißungsvoll! Und es schien ja auch so einfach zu sein: Schließlich waren die Geschichten schon fertig, und ich musste mich nur mit meiner Layouterin Larissa zusammensetzen, die Illustrationen vorn drauf auf den Karten und den Text hübsch auf den Rückseiten platzieren. Oder – noch besser, die Idee kam mir genial und so logisch vor – einfach ein Begleitheft dazulegen, das die pädagogischen Fachkräfte ganz entspannt in den Händen halten und daraus vorlesen könnten und gleichzeitig die Bilder sichtbar für alle im Rahmen zeigen. Kamishibai erschien mir ein geniales Marketinginstrument zu sein. Leicht, schnell und einfach umsetzbar. Perfekt für die Zweitverwertung unserer Bücher, die es ja schon gab und die nur darauf warteten, möglichst viele Kinder zu erreichen!

Nachdenken ist gut – nachfragen besser.

Tja – und dann habe ich das getan, was zu meinem “anderen Leben” als Journalistin einfach dazugehört wie das Atmen: Ich habe recherchiert. Und bin als allererstes auf das unfassbar umfangreiche Angebot eines Verlages gestoßen, der sich vor allem mit christlicher Literatur einen Namen gemacht hat und jetzt sehr erfolgreich beliebte Kinderbücher als Kamishibai herausbringt. Beeindruckend, das Portfolio, und sicher auch die Verkaufszahlen, keine Frage. Doch auch nach langem, ausgiebigem Stöbern auf den Seiten dieses Verlags wusste ich nicht wirklich viel mehr darüber, was es mit Kamishibai eigentlich auf sich hatte, als vorher. Was bedeutet denn nun “Kamishibai”? Ein Klang wie aus einer anderen, für mich noch fremden Welt, geheimnisvoll, ungewöhnlich, phantastisch … Woher stammt das Wort? Wo liegen seine Wurzeln? Was in aller Welt steckt dahinter? Es war schwieriger als gedacht, gehaltvolle Informationen zu bekommen, jenseits von Werbetrommel-Parolen.

“Kennen Sie schon das Forum Kamishibai?”, fragte mich der Werkstätten-Leiter.

Schließlich landete ich bei den “Frankfurter Werkstätten”. Ich suchte nach einer Möglichkeit, mir wenigstens schon mal einen anständigen und nicht überteuerten Rahmen zu besorgen. Ich trat mit dem Werkstättenleiter in Kontakt, weil ich überlegte, im himmelbau-Shop günstige, schöne Holzrahmen anzubieten, und er fragte mich, ob ich das “Forum Kamishibai” schon kenne. Mit den Damen habe er ein “Familienkamishibai” entwickelt; einen Rahmen, in den man Bildkarten in DinA4-Größe hineinschieben konnte. Üblich in Deutschland und in den Einrichtungen sind nämlich eigentlich DinA3-Rahmen. Aha, “Forum Kamishibai” also. In die Suchmaschine eingegeben – und dann knipste einfach irgendwer das Licht an. In meinem Kopf. Es war ein echter Volltreffer für mich.

Das “Forum Kamishibai” ist ein gemeinnütziger Verein mit Sitz in Frankfurt am Main, und dort haben sich Frauen zusammengefunden, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, die Erzählkunst Kamishibai hier bei uns in Deutschland bekannter zu machen – und zwar nicht auf die Weise, von der ich ausgegangen war, wie Kamishibai so funktioniert – sondern auf die traditionelle, japanische Art.

Elisabeth Ehrhorn, links, Carmen Sorgler, rechts, beide vom Forum Kamishibai, und ich in der Mitte

“Kami-Shibai” – “Papier-Theater” und noch viel mehr

Denn dort liegen die Wurzeln: in Japan. Kamishibai ist Japanisch und bedeutet auf Deutsch “Papier-Theater”. Kami = Papier, Shibai = Theater. Und genau das ist es: Es ist ein Theatererleben auf Papier. Total analog, mit rituellen Strukturen und Spannungselementen wie beim Theater. Wenn sich beispielsweise die Türen des Holzrahmens öffnen, spüren kleine und große Zuschauerinnen und Zuschauer dieses wohlige Kribbeln, das einem auch in einem großen Theater leise und sanft über den Rücken rieselt, wenn sich die schweren, roten Vorhänge öffnen. Theatererleben im Kleinen – das macht Kamishibai bereits auf den ersten Blick aus. Und es macht es zu etwas Besonderem.

Ok, dann muss ich wohl doch ganz anders denken…

So langsam bekam ich eine leise Ahnung, dass hinter Kamishibai noch viel mehr steckte, als “nur” Bilderbücher anders zu drucken und den Kindern entspannter präsentieren zu können – und ich hatte ja gerade erst mit meinen Nachforschungen begonnen! Was mir aber an diesem frühen Punkt meiner Recherchen schon klar wurde, war folgendes: Anni und ich würden unsere Geschichten ganz anders denken müssen, wenn wir Kamishibai-Karten herausbringen wollten. Und das wollte ich auf jeden Fall, das wurde mir bei jedem Satz, den ich über die Hintergründe, die Kerngedanken und die Entstehungsgeschichte von Kamishibai las, klarer. Denn Kamishibai hat einen ganz eigenen Zauber, wenn man es so umsetzt, wie es in Japan über Jahrzehnte und Jahrhunderte gewachsen ist.

Kamishibai ist die Kunst, Geschichten zu erzählen. Vorlesen ist etwas anderes.

Kamishibai kann Kinder in ihrer sprachlichen und kreativen Kraft stärken, fördert jedes Kind ganz individuell und die Gruppe als Ganzes in besonderer Weise. Kamishibai-Erzählkunst bietet in der Arbeit sowohl in Kitas als auch in Grundschulen und auch, je nach Erzählweise, in Weiterführenden Schulen und in der Erwachsenenbildung viele Möglichkeiten und kann sein riesiges Potenzial entfalten. Wenn man es lässt. Und wenn man Herz, Augen und Ohren öffnet für die Welten, die Kamishibai-Erzählkunst Kindern und Erwachsenen zugänglich macht.

|Autorin: Daniela Demmer|

 

Wenn ihr euch weiter einlesen möchtet: Die Inhalte des Beitrags basieren auf den Veröffentlichungen von Guylène Colpron und Mechthild Dörfler, die mit ihrem umfangreichen Fachwissen maßgeblich dazu beitragen, dass Kamishibai in seiner ursprünglichen Form auch im deutschsprachigen Raum bekannter wird.

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