Mit Rumpelstilzchen im Supermarkt
Meine Güte, war mir das peinlich! Ich dachte immer: So etwas passiert mir nie, wenn ich mal Kinder habe. Ein paar Jahre später folgte die unvermeidliche Erkenntnis: falsch gedacht. Hier kurz die Schilderung der Situation, die vermutlich die meisten Elternteile so oder so ähnlich alle schon einmal am eigenen Leib erfahren mussten… Kurz vor 16 Uhr, Zeit, um allmählich mal das Abendessen zu planen, also schnell noch einkaufen, dann nichts wie ab nach Hause. Kind von der Kita abgeholt, ist doch keine Sache, mal eben mit Söhnchen an der Hand in den Supermarkt zu springen. Ist ja lieb und wohlerzogen. Bis zu diesem Nachmittag jedenfalls. Mit dem Drama im – natürlich – Gang mit den Süßigkeiten hätte ich in diesem Ausmaß bis dahin nämlich so noch nicht gerechnet. Mein Sohn Ben schmiss sich ohne große Ankündigung auf den Boden und brüllte wie verrückt. Zuerst verstand ich gar nicht, was eigentlich los war. Wehgetan hatte er sich jedenfalls nicht, aber es klang so, als würde er gerade auf die Schlachtbank geführt! Nach gefühlten zehn Minuten Nachfragen und Diskussion kapierte ich endlich, dass er nur aus einem einzigen Grund so außer Kontrolle war: Ich hatte Nein gesagt auf seinen Satz „Ich will das Ü-Ei.“ Er war nicht zu beruhigen, jedes Wort war eines zuviel. Ein Wutausbruch eines Dreijährigen par excellence. Ich war gnadenlos überfordert, denn es war der erste seiner Art. Also, der erste Sohn und auch dessen allererster Wutausbruch.
Mein Sohn wurde zum Rumpelstilzchen – und ich wusste nicht weiter.
Ein kleiner Wüterich also. Keine Ahnung wie reagieren? In diesem Moment im Supermarkt habe ich genau das getan, was vermutlich alle Fachleute für Kindererziehung mit einem Augenrollen quittieren würden: Ich gab nach. Ich wollte einfach raus aus dieser hochnotpeinlichen Situation. Wollte mich nach einem anstrengenden 10-Stunden-Tag in der Redaktion weder dem Geschrei meines geliebten Erstgeborenen noch den Blicken der anderen Erwachsenen im Supermarkt aussetzen, aus denen mir Mitleid, Vorwurf und Genervtheit in etwa zu gleichen Teilen förmlich ins Gesicht schrieen. Aber das Gefühl der Hilflosigkeit und des völlig überraschenden Überrolltwerdens von Bens Wutattacke ließ mich nicht los – und ich machte mich auf die Suche nach Antworten.
Wenn jemand weiß, wie man mit kleinkindlichen Gefühlsausbrüchen souverän umgeht, dann doch sicher die Erzieherinnen in der Kita. Dachte ich.
Ich habe also das Gespräch mit den Menschen in meinem näheren Umfeld gesucht, von denen ich annehmen musste, dass sie besser darüber Bescheid wussten, wie man mit solchen Gefühlsausbrüchen umzugehen hatte. Ich vereinbarte einen Termin mit der Erzieherin meines Sohnes in der Kita und war wirklich sehr gespannt auf ihre „Geheimrezepte“. Ihre Antwort: „Nachgeben ist eine Katastrophe. Sie haben so ziemlich alles falsch gemacht, was man falsch machen konnte. Ignorieren Sie ihn beim nächsten Mal. Das ist das Beste, was man im ersten Moment tun kann. Und später versuchen Sie, mit ihm darüber zu reden…“
Du kannst dir sicher vorstellen, dass ich bei ihrer Antwort erst enttäuscht war, dann ans Nachdenken geriet – und schließlich einen dieser seltenen Augenöffner-Moment hatte. Natürlich! Dadurch, dass ich ihm nachgegeben hatte, hat er sich gemerkt, dass sein Gebrüll und der Wutausbruch zum Ziel führten (Schokolade bekommen). Das schrie also – im wahrsten Sinne des Wortes – nach Wiederholung! Kinder sind ja per se nicht dumm… glücklicherweise. In dem Fall allerdings ist das Schlausein unpraktisch, weil das nächste inszenierte Gezeter damit programmiert ist.
Beim nächsten Mal wird alles anders. Besser. Natürlich.
Ich nahm mir also vor, beim nächsten gemeinsamen Supermarktbesuch alles anders zu machen. Ben zu ignorieren, der natürlich wieder den halben Laden zusammenschrie, ruhig, gelassen und zugewandt zu bleiben, und mit etwas zeitlichem Abstand und vielen getrockneten Krokodilstränen mit meinem herzallerliebsten Kind zu sprechen. Um es noch einmal kurz zu machen: es dauerte. Ich musste das üben. Und es war wirklich nicht einfach. Nicht seinetwegen, sondern meinetwegen: Diese in vielfacher Hinsicht unangenehme Situation auszuhalten, fiel mir wahnsinnig schwer. Einmal ging gar nichts mehr, und dann machte ich etwas, das ich vorher nie für möglich gehalten hätte: Ich ging. Und ich ließ ihn brüllend im Gang liegen. Es kostete mich unendlich viel Überwindung, und ich verschwand ehrlich gesagt auch nur ein paar Meter weiter aus seinem Blickfeld – aber das war der Wendepunkt. Innerhalb von Sekunden war Ruhe, und er trottete hinter mir her. Letzten Endes hat es sich also doch gelohnt. Heute geht Ben übrigens selbst einkaufen; und er weiß auch ganz genau, warum er mich lieber nicht mitnimmt: Ich würde ihm nämlich liebend gern auch mal eine ähnliche Szene machen. Nur ein einziges Mal…! Doch ich bin sicher, da spielt die Zeit für mich. Ich setze da ganz auf meine Enkelkinder in spe.
{Daniela aus dem himmelbau}
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